#09: Industrie, Innovation und Infrastruktur – Nina Heller

Willst du dich erst mal vorstellen?

Ich bin Nina. Ich bin 23, bin in Leipzig aufgewachsen und ich bin Studentin.

Wie engagierst du dich neben der Uni?

Neben der Uni bin ich seit letztem Jahr bei „Wir Fahren Zusammen“ aktiv. Das ist eine Kampagne von Fridays for Future und Verdi, die sich zum Ziel gesetzt hat, Arbeitskämpfe zu unterstützen und mit dem Kampf für Klimagerechtigkeit zu verbinden. Die Kampagne zeichnet sich dabei vor allem durch den Fokus auf soziale Gerechtigkeit aus. Klimaschutz ist wichtig, aber wenn er nicht sozial gerecht ist, werden wir die Menschen nicht mitnehmen.

Wieso bist du gerade zu „Wir fahren Zusammen“ gegangen?

Ich glaube, dass wir insgesamt eine solidarischere Gesellschaft brauchen. Für wirkliche Veränderungen müssen wir aus der Bubble rausgehen. „Wir fahren Zusammen“ gibt mir Hoffnung dabei, dass wir Menschen erreichen, die wir vorher mit unseren klimapolitischen Anliegen nicht erreichen konnten. Mir macht es zudem sehr viel Spaß, weil es zu Begegnungen kommt, die ich sonst im Alltag nicht so habe.

Und wieso gerade das Thema Verkehr?

Ich selbst nutze den ÖPNV viel, da ich in einer Großstadt wohne und weder ein Auto habe, noch eins haben will. Deshalb ist es mir schon persönlich ein wichtiges Anliegen, dass es gute alternative Transportmittel gibt. Der ÖPNV ist mein zentrales Fortbewegungsmittel und es ist sinnvoll und wichtig, dass ich als Fahrgast mich da engagiere.

Hat dir der Austausch mit den Angestellten nochmal einen anderen Blick auf den ÖPNV gegeben?

Ja, sehr. Ich habe mir davor einfach über sehr viele Dinge gar keine Gedanken gemacht und ich wusste gar nicht, wie schlimm die Arbeitsbedingungen sind.
Darunter fällt zum Beispiel, dass einige Beschäftigte viele geteilte Dienste fahren. Das heißt, sie müssen morgens und abends zur Rush-hour fahren, weil dann ein höheres Verkehrsaufkommen ist. Dazwischen haben sie drei bis vier Stunden Pause, in denen sie nicht richtig abschalten können. Im schlimmsten Fall schaffen sie es nicht nach Hause und haben dann drei Stunden unbezahlt Pause auf dem Betriebshof.

Und funktioniert in der Bündnisarbeit eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen Aktivistinnen und Angestellten?

Ja, also ich habe schon das Gefühl, dass das so ist. Bisher war es immer so, dass ich mich einfach viel interessiert und viel nachgefragt habe. Bei mir ist immer der Eindruck entstanden, dass die Beschäftigten froh sind, wenn sich jemand abseits der Kolleginnen für ihre Anliegen interessiert.

Ihr kämpft natürlich für mehr Arbeitsrechte, aber eben auch für mehr Klimaschutz. War es schwierig, da gemeinsame Forderungen oder Schwerpunkte zu entwickeln?

Das war schon eine Herausforderung. Unter den Beschäftigten sind sehr unterschiedliche Menschen und diese sind auch dementsprechend unterschiedlich interessiert und offen gegenüber der Kampagne. Beim Streiktag dieses Jahr am 02.02. waren dann auch Beschäftigte, die irritiert waren, warum wir von Fridays for Future am Streikposten waren. Eben das sehe ich aber als große Chance. Wir gehen in Gespräche rein, die nicht einfach sind und können so mit gegenseitigen Vorurteilen aufräumen. So können wir uns Stück für Stück vortasten und klarmachen, dass wir als Klimaaktivist*innen die Beschäftigten keinesfalls verurteilen, sondern im Gegenteil mit ihnen zusammenarbeiten wollen. Es funktioniert natürlich nicht von einem Tag auf den nächsten, aber das Feedback von den Beschäftigten insgesamt ist positiv trotz anfänglicher Skepsis.

Empfindest du es auch als Generationenbegegnung?

Ja, also es sind total viele Begegnungen, also so unterschiedliche Generationen, unterschiedliche Hintergründe, unterschiedliche Lebensrealitäten. Trotzdem versuchen wir in der Kampagne zu zeigen, dass uns mehr eint, als uns trennt und dass wir ein gemeinsames Ziel haben. Unsere Arbeit hat viele Aspekte und einer davon ist auch eine Alternative gegen Rechts aufzuzeigen und den Beschäftigten einen Raum zu eröffnen, wo sie gesehen werden. Wo sich wirklich für sie eingesetzt wird und wo sie sich zugehörig fühlen können.

Weißt du mehr darüber, wie es zu diesem Bündnis kam. Wer ist auf wen zugegangen? Wie wurden da Verhandlungen geführt?

Erstmalig gab es die Zusammenarbeit zwischen Fridays for Future und Verdi 2020 in der Tarifrunde. Damals ist Fridays for Future auf Verdi mit dem Anliegen zugegangen, dass man für einen sozialgerechten Klimaschutz sich mit Arbeiter*innen zusammenschließen muss. Wir brauchen eine Verkehrswende, aber wenn die Arbeitsbedingungen so bleiben, wird es keine Verkehrswende geben. Die Anzahl der Angestelten im ÖPNV ist aktuell rückläufig aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen. Ein Ausbau des Nahverkehrs ist so unmöglich. Der Zusammenschluss mit einer Gewerkschaft war deshalb naheliegend.
Zur Tarifrunde letztes Jahr wurde das Bündnis dann wieder aufgebaut. Seitdem ist es immer weiter gewachsen. Mittlerweile gibt es uns in über 70 Orten. Hier in Leipzig findet wöchentlich ein Austausch statt.

Sind in den Tarifverhandlungen auch klimapolitische Forderungen enthalten oder nur arbeitsrechtliche?

Nur arbeitsrechtliche Forderungen. Die Idee ist, möglichst viel Druck, möglichst viel Solidarität und so eine möglichst große Bewegung aufzubauen. So können dann auch die politischen Forderungen mit Nachdruck durchgesetzt werden. In den Tarifverhandlungen selbst geht das nicht, weil das auch arbeitsrechtlich nicht möglich ist. Die beiden Forderungen (tarifliche und politische) gehen jedoch Hand in Hand. Also unsere politische Forderung ist: mehr Investitionen in den ÖPNV. Damit die Arbeitsbedingungen verbessert werden können, braucht es Investitionen.

Willst das nochmal konkret machen? Investitionen in welche Bereiche?

Wir fordern, dass jährlich 16-18 Milliarden Euro in den Nahverkehr investiert werden, um bessere Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Damit es zum Beispiel für einen geteilten Dienst eine höhere Entschädigung gibt. Oder dass es längere Pausen oder bessere sanitäre Infrastrukturen gibt. An den Endhaltestellen gibt es häufig keine Toiletten. Bus- und Bahnfahrer*innen sind dann darauf angewiesen, öffentliche Toiletten zu nutzen. Diese haben sonntags dann aber zu. Solche basic Dinge sind ein Riesenproblem und sie kosten Geld. Geld, was in die Hand genommen werden muss, denn ÖPNV ist öffentliche Daseinsfürsorge. Letztendlich fällt uns das allen auf die Füße, wenn der einfach immer schlechter wird.

Der Staat hat sich mit Nachhaltigkeitsziel neun das Ziel gesetzt, eine belastbare und nachhaltige Infrastruktur aufzubauen. Wie macht er sich da aktuell aus deiner Sicht?

Aktuell kommen sie dem Ziel nicht nach. In Leipzig ist es zum Beispiel so, dass gerade Linien und Fahrpläne ausgedünnt werden müssen. Es passt einfach alles vorne und hinten nicht zusammen. Die Leipziger Verkehrsbetriebe haben neue Bahnen gekauft, die ein höheres Transportvolumen haben, aber die Gleise sind viel zu eng gebaut, als dass diese Bahnen darauf fahren könnten. Es gibt jetzt große Bahnen, aber sie können nur auf zwei Linien fahren und eigentlich muss das komplette Gleisnetz umgebaut werden.

Was würdest du von vom Staat erwarten, wenn er das mit der belastbaren und nachhaltigen Infrastruktur ernst meinen?

Ich erwarte, dass das endlich mehr Geld in den Nahverkehr investiert wird. Viele erwidern dann, wo das Geld herkommen soll. Ich glaube, das Geld ist da. Die Frage ist nur, wen man damit unterstützt. Unterstützt man damit Menschen, die sowieso schon Geld haben, zum Beispiel durch das Dienstwagenprivileg. Oder sieht man ein, dass es dort nicht so dringend gebraucht wird und investiert es in einen Nahverkehr, der funktioniert und den sich alle leisten können?

Habt ihr auch über das Thema Anbindung in kleinere Ortschaften über ÖPNV geredet? Gibt es bei euch da irgendwie Ideen?

Bei uns speziell war das nicht so ein großes Thema, weil Leipzig eine Großstadt ist, aber es steckt in den Investitionsforderungen mit drin.
Außerdem ist es aus verkehrswissenschaftlicher Sicht ein Fakt, dass sich die Nachfrage nach dem Angebot richtet. Wenn Menschen die Wahl haben, ob sie Bus oder Bahn fahren, dann wählen Sie die Alternative, die schneller und günstiger ist. Die Idee ist also: wenn das Angebot gut genug und es schneller ist, als mit dem eigenen Auto zu fahren, werden die Leute den ÖPNV mehr nutzen. Ich würde sagen, dass sich dieses Problem automatisch auflöst, wenn das Angebot besser ist.

Hast du noch Wünsche oder Erwartungen, an entweder die Gesellschaft oder den Staat hin zu einer Zukunft, wie du sie dir vorstellst?

Also für mich steht im Zentrum, Spaltung zu überwinden, weil ich mir viele Gedanken darüber mache. Es macht mir Angst, dass die Menschen bei den multiplen Krisen und Rechtsruck teilweise an so unterschiedlichen Punkten sind. Ich glaube, vieles ist einfach nicht gut kommuniziert. Mein persönliches Ziel ist es, gegen diese Kommunikationsfehler etwas zu machen und wieder ein bisschen mehr zusammenzufinden. Klimaschutz ist sehr wichtig und für viele Menschen ist das logisch, aber wenn ein großer Teil der Gesellschaft, das überhaupt nicht logisch findet, dann werden wir nie dahin kommen.