#02: Kein Hunger – Sarah Werner
Also erst mal wie heißt du und welche Pronomen benutzt du?
Ich heiße Sarah und meine Pronomen sind sie/ihr.
Was machst du so in deinem Leben?
Im Moment arbeite ich tatsächlich hauptsächlich. Ich arbeite 20 Stunden in einem Unverpackt-Laden und im Grunde den Rest der Zeit hier für die Backstube. Wenn ich das nicht mache, mache ich Yoga, geh Fahrradfahren und pflege meine sozialen Beziehungen.
Und wie bist du in der Bäckerei gelandet?
Ich komme im Grunde aus einer Bäckereifamilie. In der Familie väterlicherseits gibt bzw. gab es viele Bäcker*innen. Ich bin da quasi reingewachsen. Nachdem meine Eltern sich getrennt haben, war ich nicht mehr viel in der Backstube. Im Studium hat mich dann aber dieser Wunsch nach einer handwerklichen und bodenständigen Arbeit – einer Arbeit, wo ich am Ende des Tages sehe, was ich gemacht habe und die für mich Sinn macht, eingeholt. Das und der Wunsch, durch die Arbeit wieder mehr Zugang zu meinem Vater zu bekommen, hat mich schließlich dazu gebracht, die Lehre im Bäckereihandwerk an mein abgeschlossenes Studium anzuhängen.
Ich habe hier in Leipzig in einer kleinen konventionellen Bäckerei meine Ausbildung gemacht. Danach habe ich in Heidelberg in einem etwas größeren Betrieb gearbeitet und vor Ge:Bäck nochmals in meinem Lehrbetrieb.
Dann erst mal zum Bäckereihandwerk generell. Das gilt ja teilweise als gefährdet und prekär wegen sehr schwierigen Arbeitszeiten und schlechter Bezahlung. Kannst du die Branche und die Arbeit für uns einordnen?
Ich kann das sagen, was ich selber erlebt habe. Die Arbeitszeiten sind wirklich schwierig. In der Regel wird nachts gearbeitet. Gerade in großen Betrieben läuft das im Dreischichtsystem, mit Früh-, Spät- und Nachtschichten. Es ist auch sehr hierarchisch organisiert, egal welche Größe der Betrieb hat. Die Hierarchie zwischen Meister und Geselle, Geselle und Azubi ist schon spürbar. Es lernen auch viele Frauen den Beruf. In meiner Ausbildungsklasse waren wir tatsächlich so halb halb, aber in der Praxis habe ich hauptsächlich mit Männern gearbeitet. Zudem habe ich eigentlich nie mehr als Mindestlohn verdient, abgesehen von sowas wie einem Nachtschichtzuschlag.
Ich denke aber, was es in erster Linie nicht attraktiv macht, sind die Arbeitszeiten. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum wir hier unser eigenes Ding machen wollen ohne Nachtschichten.
Und funktioniert es bei euch, die Arbeitszeiten anders zu gestalten und Hierarchien abzubauen?
Zunächst zu den Hierarchien: wir arbeiten als Kollektiv. Wir sind zu viert und wir sind quasi von der ersten Stunde in der heutigen Konstellation. Bisher ist also niemand neu dazugekommen. Wie das dann ist, wird sich zeigen. Natürlich gibt es hier und da Wissenshierarchien, aber wir versuchen möglichst gut im Gespräch zu sein. Ich nehme es definitiv so wahr, dass wir auf Augenhöhe miteinander arbeiten.
Was die Arbeitszeiten angeht: Dadurch, dass wir keinen Laden haben, den wir bespielen müssen und wir selber bestimmen, was wir backen, reicht es, wenn wir vormittags anfangen. Heute war ich um 8:15 hier. Das ist für manche Bäcker*innen wahrscheinlich schon fast Feierabendszeit. Also es funktioniert schon.
Denkst du, das wäre auch im größeren Stil umsetzbar?
Wenn man das Konzept einer Bäckerei so ein bisschen anpasst. Es gibt einige Bäckereien, die tagsüber arbeiten, aber deren Fokus ist dann vor allem auf Brot. Brot wird auch angenommen, wenn es erst nachmittags verfügbar ist. Wenn ich Frühstücksbrötchen anbieten will, dann führt kein Weg daran vorbei, dass man nachts dafür in der Backstube stehen muss. Wenn man den Fokus aber so ein bisschen verschiebt und eher andere Produkte anbietet, dann ist das auf jeden Fall machbar.
Und wie kann man dann vielleicht trotzdem den Frühstücksbetrieb sozialgerechter oder attraktiver gestalten?
Gute Frage…Wirklich eine gute Frage. Teiglinge verkaufen, die die Leute selbst in den Ofen schieben? Man kann viel vorbereiten zum Beispiel mit langer Teigführung, wie wir es hier machen. Das heißt, man bereitet schon Teige vor und die stehen dann über Nacht im Kühlschrank. Morgens müssen diese dann nur noch abgebacken werden, aber selbst das braucht Zeit. Wenn ich um 6:00 in der Auslage was liegen haben möchte, muss ich mindestens um vier dafür anfangen. Dann muss man vielleicht durchrotieren, damit nicht eine Person das immer macht oder die Arbeit besser bezahlen
Kannst du noch mal genauer erklären, wie ihr als Ge:Bäck organisiert seid? Also wie kann man einen Bäckereibetrieb solidarisch und nachhaltig organisieren? Ist das Konzept bei euch ähnlich, wie bei einer Solawi?
Wir haben kein Ladengeschäft, Das heißt, es gibt dieses Ware-Geld-Tauschgeschäft bei uns in dem Sinne nicht. Wir haben stattdessen ein Abo-Modell, so ähnlich wie bei einer solidarischen Landwirtschaft. Es gibt einen Monatsbeitrag, den die Mitglieder bezahlen. Der ist gestaffelt aufgebaut: einen durchschnittlichen Beitrag, einen ermäßigten und einen Solibeitrag. Jedes Mitglied kann seinen Beitrag wählen, bekommt dafür Produkte und ist ein Teil der Gemeinschaft.
Wir versuchen zudem möglichst transparent zu arbeiten und die Leute mitzunhemen was die Abläufe im Betrieb angeht. Wir schreiben zu jeder Lieferung, eine Brotpost per E-Mail oder ausgedruckt. Da steht immer drauf, was gerade aktuell ist. Was wir machen und warum manche Dinge vielleicht mal nicht so gut geklappt haben oder warum heute die Lieferung später kommt. Das Schätzen die Leute total.
Ein Unterschied zur solidarischen Landwirtschaft ist das Risiko von Ernteausfällen. Wir können relativ gut planen. Wir sind quasi eine Stufe weiter. Wir bauen nicht an, sondern wir verarbeiten ein Naturprodukt. Dadurch können wir ziemlich gut gewährleisten, dass jede*r auch jede Woche sein*ihr Brot bekommt.
Ein weiterer Unterschied sind zum Beispiel Arbeitseinsätze. Was bei einer Solawi mit dazugehört, ist in der Bäckerei schwer umzusetzen. Man braucht Vorerfahrung und es ist nicht so leicht neue Leute in den laufenden Betrieb zu integrieren.
Viele wünschen sich das aber. Deswegen bieten wir Backstuben-Führungen und hier und da einen Workshop an.
In Leipzig gibt es schon viele Solawis, aber denkst du dass Konzepte, wie diese – Also Betriebe als Gemeinschaft zu tragen, Beiträge solidarisch zu verteilen und gleichzeitig nachhaltiger und somit teurer zu produzieren – gesamtgesellschaftlich gedacht dabei helfen können, Ernährung nachhaltiger zu gestalten?
Ja, denke ich schon.
Aus meiner eigenen Erfahrung als Mitglied von der Solawi, geht damit nicht nur einher, dass ich einen Betrieb unterstütze, gute und gesunde Lebensmittel anzubauen und das Risiko mit Trage. Dazu kommen die persönlichen Beziehungen, die ich zu den Leuten habe. Dass vor Ort sein bei den Acker-Einsätzen bringt für mich eine größere Wertschätzung für das Produkt mit. Ich glaube das fehlt oft. Zu wissen, was ich da esse, wo kommt das her, wer macht das und was ist alles dafür notwendig. Ich bekomme das von vielen Mitgliedern bei uns gespiegelt. Dadurch das wir sie z.B. durch die Brotpost mitnehmen und uns viele auch persönlich kennen, steigt die Wertschätzung für die Arbeit und das Produkt. Somit steigt ebenfalls die Bereitschaft dafür das Geld, was man hat, auszugeben.
Es gibt total viele Solawis. Ich glaube nicht, dass die Lösung ist, die zu einem großen Betreib zu machen. Wenn es viele Initiativen gibt, die Dinge unterschiedlich machen, weil sie sich den lokalen Bedingungen anpassen, denke ich dass das ein zukunftsfähiges Konzept ist.
Also sagst du eher nicht ein größer Betrieb, sondern viele und an die regionalen Umstände angepasste.
Ja.Viele, die hierher zu Besuch kommen, sagen Ach liefert ihr nicht auch nach Regensburg, ins Allgäu und nach Berlin? Da denk ich mir: Dort gibt es auch gute Bäckereien und eigentlich wäre es cool, wenn es dort ebenfalls sowas, wie unser Konzept gäbe. Wir wollen durch unsere Arbeit regionale Wertschöpfungsketten stärken und vor Ort tätig und wirksam sein. So weit exportieren widerspricht dem. Deswegen denke ich, ist es ein Konzept, was sich auch an anderen Orten angepasst an die entsprechenden Bedingungen umsetzen lässt.
Versucht ihr die Idee weiterzutragen?
Ich mache das jetzt gerade in diesem Interview zum Beispiel. Tatsächlich passiert das ein bisschen automatisch. Wir haben mittlerweile eine gewisse Reichweite und viele Leute die uns kennen. Die erzählen es dann wiederum weiter und so verbreitetet es sich
Richtig aktiv verfolgen wir das nicht, weil Öffentlichkeitsarbeit geht ein bisschen unter im Alltagsgeschäft, muss ich ehrlich sagen. Wir haben aber jetzt erst eine Anfrage bekommen von einem Betrieb aus Eberswalde, der auch so was starten will. Wir sind auf jeden Fall offen dafür, mit Leuten ins Gespräch zu gehen und uns auszutauschen. Ich finde das total bereichernd auch für uns, von anderen zu lernen und das, was wir uns jetzt alles schon so ausgedacht haben, weiter kommunizieren zu können. Wir müssen nicht alle die gleichen Fehler machen.
Wie lange gibt es euch schon?
Wir sind seit letzten September, also September 2023 mit Rechtsform GbR als Gewerbe gemeldet. Wir treffen uns aber seit September 2021 und Anteile liefern wir seit November 2022 aus.
Okay, dann lass uns einmal rauszoomen auf eine größere politische Eben. Im Moment gibt es Bestrebungen zur Anhebung vom Mindestlohn. Dagegen haben viele Betriebe protestiert, weil sie meinen, sie können sich das nicht leisten. Kannst du das aus aus deiner Sicht einordnen? Was ist deine Perspektive darauf, wie menschenwürdige Arbeit, Wirtschaftlichkeit und aber auch soziale Gerechtigkeit zusammengebracht werden können?
Aus meiner Perspektive:
Wir beuten uns finanziell gesehen im Moment noch selber aus. Wir zahlen uns noch nichts aus. Bis Ende Juli sind wir aber noch durch eine Förderung finanziell abgesichert.
Ich persönlich mache meine Arbeit in erster Linie, weil ich sie gern mache, es mir gut tut und weil ich ein Sinn darin sehe. Ich weiß auch, dass für viele Mitglieder ein zentraler Grund für ihre Mitgliedschaft bei uns ist, uns als Bäcker*innen einen fairen Lohn zu gewährleisten. Wir setzen uns da viel mit auseinander. Wie schaffen wir ein gutes Produkt und sozialverträgliche Arbeitszeiten. Wie organisieren wir die Arbeit in einem Kollektiv auf Augenhöhe, in dem wir unterschiedliche Ausbildungsniveaus mitbringen.
Wie können wir das gut zusammenbringen mit Wirtschaftlichkeit? Für uns bedeutet das im Moment müssen wir auf jeden Fall noch wachsen. Wir brauchen noch mehr Mitglieder, noch mehr Anteile, damit wir eben an eine Schwelle kommen, wo wir sagen da passt die Arbeitszeit, da können wir uns den Lohn auszahlen, den wir brauchen oder den wir gerne hätten. Ab einer gewissen Größenordnung kann man gar nicht mehr so handwerklich arbeiten, wie wir das machen. Also mit verhältnismäßig wenig Maschinen und viel Zeit. Aber wir brauchen eine gewisse Größenordnung, damit das ein wirtschaftlich rentables Projekt ist.
Ich glaube, da gibt es vielleicht so diesen Sweet Spot, bei dem dann die Qualität nicht unter dem Wachstumsstreben leidet.
In einem anderen Interview wurde auch mehr Wertschätzung hervorgehoben und eine Bereitschaft, mehr Geld für Essen zu zahlen.
Aber dafür muss man es auch haben. Also, ich sehe ungefähr, wer so unsere Mitglieder sind und vielleicht aus was für einem sozialen Kontext sie kommen. Ich würde schon gerne noch mehr Leute erreichen. Aber das ist wahrscheinlich bei vielen Initiativen die Frage: Wie kommt man raus aus der eigenen Bubble. Wie erreicht man Leute, die erstmal andere Probleme haben als gesunde Ernährung. Ich möchte aber eigentlich, dass diese Leute genauso gutes Brot essen können.
Hast du Gedanken dazu, wie man diese Leute erreichen kann?
Da ist erstmal die Frage muss man überhaupt alle erreichen?
Also ich hab das Bedürfnis und denke mir, ich möchte, dass alle sich gesund und gut Ernährern können. Für viele ist das vielleicht aber gar nicht so wichtig, sondern wichtiger, dass es wenig kostet. Bei uns gibt es aber eine Untergrenze und selbst unser ermäßigter Beitrag ist wahrscheinlich für viele Leute zu viel.
Ich denke, um mehr Menschen zu erreichen, muss man einfach präsenter sein, auch außerhalb der eigenen Komfortzone. Dafür braucht es aber Zeit und Energie. Wir stehen da gerade noch sehr am Anfang. Uns gibt es seit einem Jahr und ich bin froh, dass wir 200 Mitglieder haben. Irgendwann kommen wir hoffentlich an den Punkt, wo wir noch mehr Menschen erreichen und ein gewisses Kontingent noch günstiger rausgeben können. Das ist nicht unmöglich.
Verhältnismäßig dazu das wir eine sehr wohlhabende Gesellschaft sind, leiden immer noch Menschen in Deutschland an Hunger. Hast du Ideen, was politisch passieren müsste um diesen Umstand zu überwinden?
Das ist eine wirklich große Frage. Da sind so viele Bereiche von betroffen, zum Beispiel auch das Thema Kinderbetreuung. Also dass Menschen, die ihre Kinder selbst betreuen müssen, nicht arbeiten gehen können und so in diesem Teufelskreis festhängen.
Vielleicht müssten wir eine gewisse Art von Grundversorgung garantieren. Ich weiß nicht, ob das bedingungslose Grundeinkommen, dafür ein Lösungsansatz wäre. Oder, was die Linken gefordert haben: Ein flächendeckender Zugang zu kostenlosem Mittagessen und gesundem Essen für Kinder.
Zum Thema Hunger und Essen: Ökologische und nachhaltige Landwirtschaft müsste mehr finanziell unterstützt werden, damit wir nicht weiter unsere Lebensgrundlagen kaputt machen.
Bei diesen Vorschlägen würden viele mir jetzt wahrscheinlich entgegen, wo das Geld herkommen soll. Ich denke dahingehend braucht es eine Prioritätenverschiebung und solidarische Umverteilung. Also das, was wir im Kleinen machen, auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Wenn gleichzeitg so ganz grundlegende Bedürfnisse nicht abgedeckt werden. Das ist jetzt vielleicht whataboutism, aber dennoch: Warum muss zum Beispiel so viel Geld für Militär ausgeben werden muss, wenn es Menschen gibt die sich kein warmes Mittagessen leisten können?
Also eine Prioritätenverschiebung mit der Orientierung oder dem Fokus auf dem Menschen.