#12: Nachhaltiger Konsum und Produktion – Maya Saric
Wie beschäftigst du dich mit nachhaltiger Produktion und nachhaltigem Konsum?
Ich bin schon seit mehreren Jahren im Bereich Fair Fashion unterwegs, habe viel aktivistisch gearbeitet. Aktuell arbeite ich bei den Fashion Changers, eine Plattform für Aufklärung, Weiterbildung und Vernetzung rund um das Thema faire Mode, und kläre über ihre sozialen Kanäle zu Mode und Klima, Gerechtigkeit und Gesellschaft auf.
Wie kommt man an diese Schnittstelle?
Ich wollte unbedingt etwas mit Mode machen oder Journalistin werden. Im Studium Modemanagement habe ich dann mehr verstanden, wie die Branche funktioniert. Davor hatte ich noch nie etwas von Lieferketten gehört und noch nie etwas davon, wie schnell eigentlich produziert wird. Natürlich sieht man medial immer mal etwas zum Thema Kinderarbeit – aber häufig kann man sich nicht vorstellen, was das eigentlich heißt. Mein ausschlaggebendes Thema war dann Textilmüll. Ich bin auf ein Bild gestoßen, eine riesige Wüste voll mit alten Kleidern. Später habe ich herausgefunden, dass es natürlich die Atacama-Wüste ist. So habe ich angefangen, mich mit den Hintergründen unserer Kleidung zu beschäftigen. Schnell bin ich auf lokale Labels gestoßen, die Alternativen zu dem aufzeigen, was wir kennen. Darüber bin ich irgendwann bei den Fashion Changers gelandet und habe gemerkt, dass das alles viel größer ist: Mode ist nicht nur hübsch anzusehen, Mode ist hochpolitisch und hat so viele Schnittmengen, die man auf den ersten Blick nicht sieht.
Was sind hier Themenbereiche, über die man sprechen muss neben Kinderarbeit und Textilmüll?
Nicht nur Kinder, auch viele andere Menschen werden bei der Produktion ausgebeutet. Auch klimatechnisch richtet Mode viel Schaden an. Allein Mikroplastik ist ein riesiges Thema, also erdölbasierte Kleidung. Es ist immer noch mit am günstigsten, Polyester herzustellen. Über die Hälfte aller Kleidung auf der ganzen Welt besteht aus zum Teil Polyester, um die 60 Prozent. Auch Elasthan und Nylon sind erdölbasiert. Bei dieser Kleidung ist am Ende auch Mikroplastik ein großes Problem, die in den Kreislauf gelangt. Ansonsten muss man sich auch die natürlichen Materialien anschauen. Die Chemie, die auf Baumwollpflanzen gespritzt wird, den Wasserverbrauch von Baumwollpflanzen. Der Aralsee in Usbekistan ist beinahe komplett ausgetrocknet. Viel von seinem Wasser wurde für die Baumwollproduktion verwendet. Und es zieht noch viele weitere Kreise: Das Grundwasser wird angegriffen, Böden werden unfruchtbar. Menschen werden krank, sterben. Weil sie nicht ausreichend geschützt werden.
Und das alles für unsere Kleidung?
Ja. Und wohlgemerkt für einen Prozess, der nur wenige Wochen dauert, zwei, drei teilweise nur. Und diese Zahlen sind älter, weil wir ja mittlerweile nicht nur Fast Fashion haben, sondern sogar Ultra Fast Fashion mit Shein, Temu, Boohoo und co. Diese Firmen sehen, was gerade auf Social Media und den Laufstegen Trend ist und schaffen es in kürzester Zeit, ein Design auf ihrer Website hochzuladen – mehrere tausend neue am Tag kommen dort rein. Es ist eine Geschwindigkeit, die wir so noch nie erlebt haben. Früher gab es vier Saisons, in denen neue Mode rausgekommen ist. Mehr gab es nicht. Mittlerweile gibt es mit Unmengen an Micro-Trends täglich neue Styles von einem einzigen Anbieter, die genauso schnell verschwinden, wie sie gekommen sind. Und tatsächlich begreift niemand das komplette Ausmaß davon, weil niemand mehr sicher weiß, wie viel Kleidung tatsächlich jeden Tag produziert wird. Wir haben keine verlässliche Zahl, was im Jahr alles an Ressourcen, Energie und so weiter aufgewendet wird.
Um 2001 rum kam Naomi Kleins „No Logo“ raus. 2013 stürzte das Rana Plaza Fabrikgebäude in Bangladesch ein, 2014 gab es dann den Film „The True Cost“. Warum wird es trotz dieser einschneidenden Momente nur schlimmer statt besser?
Ich würde vermuten, dass Zugänglichkeit eine Rolle spielt. Fast Fashion wurde ungefähr zu dem Zeitpunkt geboren, als ich geboren wurde. Ich kenne keine Zeit, in der man nicht jeden Tag neue Klamotten kaufen konnte, auch noch zu günstigen Preisen. Über die Zeit wurde alles nur noch trendiger, hipper, es kamen neue Unternehmen dazu und mit dem Zugang über das Internet geht alles noch leichter. Die Sachen online werden immer günstiger. Man kann sich Sachen kaufen, ohne groß darüber nachdenken zu müssen. Gleichzeitig sieht man nicht, was der eigentliche Wert dahinter ist. Das ist schwierig bei etwas wie Mode, das etwas so Emotionales und Persönliches ist. Du kannst dich darüber ausdrücken, Statements setzen, bekommst ein Zugehörigkeitsgefühl. Mir hilft es tatsächlich auch, dass ich es vermeide, an Orte zu gehen, wo ich viel günstig kaufen kann, weil ich von mir weiß, dass ich mir gern auch etwas kaufen möchte, wenn ich es schön finde. Und Leuten, die vielleicht nicht alle Hintergründe kennen und einfach nur etwas kaufen möchten, fällt es vielleicht noch schwerer.
Eine schwierige Situation.
Ich bin mir sicher: Jede einzige Person würde zustimmen, dass der Herstellungsprozess von Mode fair sein sollte, wenn man sie fragt. Niemand kann wollen, dass Menschen nicht vernünftig bezahlt werden, dass Menschenrechte nicht eingehalten werden sollen. Und ich würde auch davon ausgehen, dass alle dahinterstehen würden, wenn es heißt, Mode sollte der Umwelt nicht schaden. In der Theorie sind alle dafür, aber das als individuelle Person ändern zu können, ist schlicht ein Irrglaube. Es geht nicht. So vielschichtig wie Mode ist, genauso komplex sind die Lösungsansätze. Es gibt nicht eine eindimensionale Lösung dafür, wie wir es schaffen, die Modeindustrie so zu strukturieren, dass sie unserer Umwelt nicht schadet und dass sie die Leute nicht ausbeutet. Das kann nicht auf individuelle Konsument:innen abgewälzt werden. Und es ist auch unfair, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie das müssten. Nicht jede Person möchte Second Hand shoppen gehen. Nicht jede Person kann sich Fair Fashion leisten. Nicht jede Person hat Zeit, Kapazität, Kleidung selbst zu nähen oder zu reparieren. Wir brauchen eine andere Lösung, eine Gesamtlösung, die die Verantwortung auf jene unterschiedlichen Schultern verteilt, die wirklich etwas ändern können: Die Politik, die Unternehmen und individuelle Personen in Machtpositionen.
Hast du ein Beispiel?
Adidas stellt seine aktuellen Trikots für die EM in Kambodscha her. Es kam raus, dass über die Pandemie sehr viel Geld nicht an die Textilarbeiter:innen ausgezahlt wurde, dass sie eigentlich betrogen und entlassen worden sind, damit neue Arbeitskräfte eingestellt werden konnten, denen noch weniger bezahlt wird. Natürlich bekamen sie keine Abfindung. An diesen Produktionsorten gibt es keine Gewerkschaften, keine Unterstützung, sich zu organisieren. NGOs versuchen zu helfen und auf die Situation aufmerksam zu machen, die Stimmen vor Ort zu verstärken. Was war in dem Fall die Konsequenz? Einige Stimmen aus der Bubble haben Adidas aufgefordert, seinen Leuten mehr Geld zu zahlen. Wir sind aber in einer kapitalistischen Struktur. Solange Adidas kein wirklicher Riegel vorgeschoben wird, solange sie keine wahren Konsequenzen erfahren, werden sie nichts ändern. Sie werden den Leuten nicht mehr Geld zahlen. Denn die Ware wird trotzdem gekauft. So, wie es derzeit ist, ist ein einhundertprozentiger Boykott einfach nicht möglich. Diese ganzen Akteure spielen in dem System eben zusammen.
Gibt es Fortschritte? Zum Beispiel mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz?
Es war ein Kampf in den letzten Jahren, dass ein Lieferkettengesetz überhaupt diskutiert wird. Viele Leute aus NGOs und Zivilgesellschaft haben im deutschsprachigen Raum sehr viel Arbeit reingesteckt, damit wir überhaupt ein Lieferkettengesetz bekommen. Natürlich ist noch Luft nach oben, aber es ist da. Auch auf EU-Ebene gibt es nun endlich eins. Ja, Deutschland hat hier blockiert und ja, es könnte immer besser sein. Aber es gibt eins. Wir haben auf EU-Ebene noch den Green New Deal. Also ein Maßnahmenpaket für grüne Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit, um auf EU-Ebene grünes Wirtschaften hinzubekommen. Maßnahmen umfassen zum Beispiel ein Recht auf Reparatur für Elektronik, aber auch Kleidung und Textilien. Da geht es auch um ein Vernichtungsverbot von retournierten Waren – viele Menschen wissen nämlich nicht, dass die meiste Ware, die sie zurücksenden, vernichtet wird. Eben einfach, weil es günstiger ist. Das ist eine von vielen Stellschrauben, bei denen man ansetzen kann. Es gibt auch Forderungen, dass man nicht mehr nur über Wachstum die Erfolge eines Unternehmens misst. In diesem Zuge spielen eine Kappung von Ressourcenverbrauch eine Rolle oder es wird diskutiert, ob es eine Grenze geben solle, wie viele Kleidungsstücke überhaupt produziert werden dürfen.
Spannend. Was noch?
Kreislaufwirtschaft wird derzeit viel als Allheilmittel gesehen. Für eine erfolgreiche Umsetzung muss aber noch sehr viel passieren, um Mode überhaupt in einen Kreislauf zu bringen. Unter einem Prozent der Kleidung wird heutzutage recyclet. Die meiste Kleidung besteht ja eben aus Mischgewebe, zum Beispiel 10 Prozent Polyester und 90 Prozent Baumwolle. Nach heutigem Stand lässt sich das einfach noch nicht effektiv in großem Stile trennen. Das ist Müll. Tatsächlich wird unsere Kleidung auch seit Jahren immer schlechter. Selbst auf Plattformen, die sich auf Resell spezialisiert haben, ist unsere jetzige Kleidung nicht mehr attraktiv, weil die Qualität immer weiter abnimmt. Da muss dringend mehr getan werden, zum Beispiel mehr Ressourcen in die Innovationsforschung reinstecken: Welche Materialien können wir in der in der Zukunft haben, die tatsächlich umweltschonend produziert werden können, die recycelt werden können oder die vielleicht einfach kompostierbar sind? Wie schaffen wir das, dass wir nicht geflutet werden mit Sachen, die durch den Zoll kommen, ohne dass richtig geprüft wird, ob diese Sachen überhaupt gut für uns sind. Denn die schiere Masse an Produkten ist einfach nicht bewältigbar.
Was macht dir denn Hoffnung, dass wir das alles schaffen können?
Wir müssen es ganz einfach schaffen. Es gibt keine andere Lösung. Es gibt keinen Plan B. Mir gibt es Hoffnung zu sehen, wie viele neue junger Designer:innen mit anderen Materialien arbeiten und zeigen, dass sie nicht nur sehr gut aussehen können, sondern dass man gleichzeitig auch seine Individualität behalten kann. Ich hoffe, dass zumindest für die meisten Leute ist dieses Bild von nachhaltiger Mode, die langweilig, super öko aussehend und angestaubt ist, langsam weg ist. Sondern dass die meisten wissen oder lernen: Streetstyle, High Fashion – das geht alles auch mit Materialien, die besser für unsere Umwelt sind. Mir gibt es Hoffnung, dass manche Länder, die viel mit Öl handeln, teilweise schon eine Wende vornehmen, weil sie wissen, dass Öl nicht zukunftsfähig sein wird. Das gibt mir Hoffnung, dass wir irgendwann den Ausstieg aus erdölbasierten Produkten schaffen werden. Dann gibt es mir Hoffnung zu sehen, dass es natürlich immer mehr Leute gibt, die auf Second Hand umsteigen. Es passiert so viel. Es gab ein Label, das jungen Frauen, die aus der Zwangsprostitution befreit wurden, beigebracht hat zu schreiben, lesen, nähen. Es hat ihnen geholfen, eine Perspektive zu bekommen, ihre Träume zu verfolgen. Wie könnte unsere Gesellschaft aussehen, wenn alle Unternehmen so strukturiert wären? Viele neue Unternehmen entstehen, die innovativ sind und etwas verändern wollen – nicht nur im Modebereich, sondern auch bei Materialinnovationen. Meine Hoffnung ist einfach nur, dass wir das global schaffen. Da müssen aber auch Länder wie China, die auch viel Verantwortung haben, mitziehen.
Sind diese Länder immer genauso verantwortlich wie die reichen Länder des Globalen Nordens?
Bisher habe ich das noch gar nicht erwähnt, aber natürlich weist unser Umgang mit Textilien – insbesondere auch Textilmüll – koloniale Strukturen auf. Mit unserer abgelegten Kleidung zerstören wir lokale Textilmärkte, wir verkaufen unseren Müll an andere Länder. Weil unsere Kleidung immer schlechtere Qualität hat, kann sie schlecht recycled werden. Was sollen die Menschen denn anderes damit machen, als sie zu verbrennen? Und dennoch wird viel in China direkt produziert, die eigenen Leute werden dort ausgebeutet. Es ist eine Gesamtaufgabe, bei der eben alle gemeinsam an einem Strang ziehen müssen. Wir müssen alles dafür tun, dass die Weichen gestellt werden. Auf einem toten Planeten gibt es keine Fashion Week mehr.
Das stimmt.
Genauso wichtig ist es mir aber auch hervorzuheben, dass wenn wir über Nachhaltigkeit in der Mode sprechen, natürlich auch ein wichtiger Aspekt ist, wie wir die Menschen behandeln. Deshalb sind Innovationen zwar wichtig. Aber die Leute, die mit ihnen arbeiten, müssen richtig dafür entlohnt werden. Wir alle merken, was Mode für einen Impact hat, wenn wir sie tragen. Aber wir machen uns nicht genug Gedanken darüber, woher sie kommt. Und durch wie viele Hände sie schon gegangen ist, bevor sie in unserem Kleiderschrank hängt. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir an einem Punkt in unserem Leben ankommen, an dem wir einfach schuldfrei konsumieren können oder wir einfach zu einhundert Prozent wissen, dass die Sachen aus Quellen stammen, hinter der man stehen kann. Und das ist meine wunderschöne Utopie. Und ich versuche jeden Tag daran zu arbeiten, dass wir das erreichen können.