#14: Leben unter Wasser – Anoosh Werner
Liebe Anoosh, was ist dein Bezug zu dem SDG: Leben unter Wasser?
Ich arbeite als Change Agent, also als Zukunftsgestalterin im Bereich transformative Bildung und Umweltkunst, mit Wasser als Schwerpunkt. Auf unterschiedlichen Ebenen setze ich mich für den Schutz des Wassers ein. Getroffen haben wir uns hier – in meinem Baby – denn ich habe einen acht Meter langen Wal geboren, der aus Müll und Holz besteht, aber hauptsächlich aus gesammelten Plastikmüll. Die Umweltkunst-Installation pla pla! plastik und plankton will auf den immensen Plastikverbrauch und die damit einhergehenden Folgen für unser Ökosystem Wasser aufmerksam machen.
Wie wird man denn Change Agent? Das klingt so ziemlich nach der coolsten Jobbeschreibung, die ich jemals gehört habe.
Ich setze mich seit knapp zwölf Jahren als Umweltaktivistin für den Schutz unseres Planeten ein. Mein Weg war, gleichend dem Lauf des Wassers, sehr vielfältig. Nach dem Abi habe ich ein Jahr im Ausland verbracht, habe dann eine Ausbildung gemacht. Mein Interesse an Gesellschaft habe ich mit meinem Soziologie- und Kulturanthropologie-Studium gestillt und während des Studiums die Möglichkeit bekommen, ein Projekt mit einer indigenen Gruppe im Rahmen der Rio+20-Konferenz in Brasilien zu machen. Und das hat auf jeden Fall sehr fundamental mein Leben und die Sicht auf die Welt verändert. Dort sind meine ersten Ideen für ein Umweltprojekt entstanden. Zuhause habe ich dafür dann eine Förderung für die Umsetzung bekommen. Darauf folgten dann mehr Vereinsarbeit und weitere Projekte und die Entwicklung von Bildungsmaterialien. Ich habe mich gefragt: Wie können wir Bildung so gestalten, dass sie wirklich zu einer Verhaltensänderung führt? Denn es mangelt ja nicht an Wissen, höchstens an der Vermittlung.
Und dann kam irgendwann dein Wal?
2019 habe ich ihn in wenigen Wochen geboren, nachdem ich eine Förderung erhalten habe. Beinahe hätte ich keinen Ausstellungsort gefunden – dann wurde er das Maskottchen einer großen Klimaschutzdemo und zog vor den Bundestag. Seitdem reist er durch Deutschland an verschiedene Orte. Der Wal – meine Arbeit allgemein – ist für mich auch ein Ausdruck meiner Dankbarkeit dem Leben gegenüber. Ich bin in einer privilegierten Situation, wie wir alle haben wir nichts dafür getan, in Deutschland geboren worden zu sein. Ich bin gesund, habe ein Dach über dem Kopf, ausreichend Essen, lebe in Frieden und darf gute Bildung erfahren. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir alles in uns haben, um es besser bzw. lebenswerter, im Sinne von Mutter Erde, machen zu können.
Warum passiert das dann noch nicht?
Es geht nur darum, dass wir bereit werden, wirklich das Commitment eingehen für echte Veränderung, also wirklich eine Umprogrammierung. Und damit einher geht für mich auch, sich auch mit den eigenen unbequemen Tatsachen auseinanderzusetzen und dem nicht aus dem Weg zu gehen, sondern die Bereitschaft zu zeigen, Lust zu haben, sich weiterzuentwickeln, kein business as usual mehr. Dem Wasser es nachzumachen, denn Wasser geht mit allem was es begegnet in Kontakt. Wasser geht den Dingen nicht aus dem Weg. Wer die Nachrichten sieht, liest oder hört, kann mir nicht erzählen, dass das wirklich eine Welt ist, die wir uns vorstellen. Oder wir können es uns nur so vorstellen, weil wir uns die Sicht auf die Welt, die wir uns tief im Herzen wünschen, versperren. Wodurch? Durch unseren Kopf, unser Ego, unseren Drang alles Kontrollieren und Steuern zu wollen. Wenn wir den Dingen ihren Lauf geben uns lösen von Konzepten, dann können Dinge entstehen, die wir vorher vielleicht gar nicht erahnt hatten. Das ist alles andere als leicht und es bedarf Sanftmut und Wohlwollen sich selbst gegenüber! Ich spreche da aus Erfahrung.
Ich schätze deinen Optimismus total. Wie spiegelt sich der in deiner Arbeit wider?
Mit meinem Plastikwal bin ich auf Augenhöhe mit den Menschen und kreiere Bilder und Visionen: Wie könnte eine Zukunft aussehen, welche Ziele und Vorstellungen haben wir? Aus dem gleichen Grund trenne ich meine Arbeit beispielsweise von den Bildern von plastikverschmutzten Meeren. So kreiere ich eine neue Motivation. Das ist mein Ansatz: Der Blick aufs Positive. Dafür müssen wir eine neue Art der Kommunikation auf Augenhöhe entwickeln. Jede:r spricht von Transformation, aber für ganz viele ist es einfach nur ein Begriff, der gar nicht mit Bildern gefüllt ist, weil wir von allen Seiten so viel Negativität erfahren. Wir sind jetzt hier an diesem Punkt und wir kennen die Prognosen darüber, was eintreten wird, wenn bestimmte Szenarien sich bewahrheiten. Aber über den Raum dazwischen sprechen wir nicht, dabei muss es darum gehen, diesen Zwischenraum zu füllen. Für starke und zukunftsgewandte Aktionen kann Angst eine Bremse sein, genauso wie Schuldzuweisungen. Es bringt uns in der Debatte nicht weiter, mit dem Finger zu zeigen, wer schuld ist. Stattdessen muss es um Lösungen gehen, um Kooperation. Die Transformationsforscherin Maja Göpel sagte mal, es geht um Kooperation als neuen Realismus. Und das kann ich nur bestätigen.
Das klingt schön.
Es geht darum, jetzt gemeinsam auf diese Reise zu gehen. Im Endeffekt wird darüber ja auch wieder Wissen generiert, das wieder beeinflussen kann, dass andere sich anschließen. Ein positiver Dominoeffekt, sozusagen. Der Blick auf das Negative ist auch ein Resultat aus unserem Bildungssystem. Es geht immer um besser und schlechter. Dadurch wird eine Scham aufgebaut, dann verschließt man sich und geht Situationen aus dem Weg. Deshalb ist die Frage, wie wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse positiv übersetzen, dass wirklich jede:r sie versteht. Da kommt für mich die Kunst ins Spiel, denn sie ist sozusagen entgrenzt und kann Inhalte barrierefreier kommunizieren, weil sie so viele unterschiedliche Ebenen zur Verfügung hat: visuell, haptisch, akustisch, mit verschiedenen Materialien und so weiter. In diesem Sinne sehe ich den Müll, mit dem der Wal gestaltet ist, auch als Ressource.
Wenn wir uns den politischen Rahmen anschauen, ist es aber derzeit doch so, dass wir uns ja Ziele gesetzt haben, wie wir das erreichen können müssten, was du formulierst. Dennoch haben die Pandemie und so weiter uns zurückgeworfen.
Eine große Kritik an den SDGs ist natürlich das fehlende Monitoring und die fehlende Priorisierung. Und es gibt keine Sanktionen für die Länder, die es nicht umsetzen. Es gibt aber auch ein Wedding – Cake Modell, dass im Grunde genommen das systemische Denken auf die SDG´s überträgt und daraus wird ganz deutlich erkennbar, was Priorität hat. Die Biosphäre ist die Grundlage von allem, darin eingebettet ist das Soziale, also wir als Gesellschaft und daraus hervor geht dann das ökonomische, also unsere Wirtschaft. Beim Vergegenwärtigen dieser Tatsache, wird ganz schnell deutlich welche bedeutende Rolle das Wasser spielt. Denn es ist unsere Lebensgrundlage. Es geht vor allem um innere Entwicklung, denn die Transformationsforscher:innen sind sich einig, dass wir alle technischen und ökonomischen Mittel zur Verfügung haben, um eine Gesellschaft zu transformieren. Wir dürfen jetzt an uns selbst arbeiten.
Wie zerstören wir die Meere konkret?
Plastik ist natürlich ein riesiges Problem. 35 Prozent des Plastiks stammt von Fasern beim Waschen unserer Kleidung. Die Küsten sind bereits voll von Plastikmüll, man kennt diese Fotos. Es gibt auch Plastikstrudel im Meer – im Endeffekt ist aber nur ungefähr ein Prozent des Plastiks über oder auf der Meeresoberfläche zu sehen. Der Rest ist darunter. Das kann man sich ungefähr so vorstellen wie die Bilder von Eisbergen – auch dort sieht man nur die Spitze des Eisbergs über der Wasseroberfläche, der Großteil befindet sich darunter. Teil von diesem Problem ist es aber auch, die Frage zu stellen nach Erdgas und Erdöl. Wie viel Erdöl und Erdgas sind eigentlich in unserem Wasser mittlerweile? Und warum wird darüber nicht gesprochen?
Plastik ist aber natürlich nicht das einzige Problem, das unsere Meere derzeit haben?
Die Meere versauern durch den Klimawandel. Die Strömungen verändern sich, die Temperatur des Wassers in den Bergen. Dadurch sind Lebensräume unter Wasser massiv bedroht. Diese Räume sind eigentlich nicht für Menschen gemacht, aber mit Schiffen, Handel und auch Fischfang machen wir uns diese Räume zu Eigen und zerstören sie. Wir haben einen relativ großen Teil der Wale bereits ausgerottet. 700 Arten sind gefährdet. Überfischung ist ein riesiges Problem. Gezüchtete Fische sind voll von Antibiotika – und leider haben alle viel Mikroplastik in sich. Da wurden bereits Auswirkungen auf die Reproduktion festgestellt. Das Beste ist wirklich, keinen Fisch aus dem Supermarkt mehr zu essen. Aber auch im Alltäglichen gibt es noch viel mehr, was getan werden muss.
Zum Beispiel?
Ganz simpel, aber: Keine Zigaretten mehr auf den Boden schmeißen. Sie sind Sondermüll, Gift. Dabei sind sie überall – in den Parkanlagen, Menschen schmeißen sie an Bushaltestellen auf den Boden. Und diese Giftstoffe landen alle in unserem Wasser. Es ist ein riesiges Privileg, dass wir unser Wasser überhaupt trinken können und dennoch schützen wir es nicht.
Warum schaffen wir es nicht, das zu stoppen?
Weil hinter allem, was passiert, immer auch Interessen stecken, denen wir uns bewusst werden müssen. Aber natürlich muss auch jede:r seinen eigenen Teil dazu beitragen. Generell versuche ich da, meinen Ansatz zu vermitteln: Die Natur kapieren und mit ihr kooperieren, statt sie auszubeuten. Wir können viel vom Wasser lernen, Wasser bewegt sich im Kreislauf, hat eine starke innere Beweglichkeit. Auch wir bestehen zu großen Teilen aus Wasser, Wasser ist elastisch. Wir müssen einfach nur überall hinschauen und von dem Zusammenleben aller lernen.
Hast du ein Beispiel?
Algen sind wahrscheinlich ein großer Teil der Zukunft. Algen wachsen und verbreiten sich schnell, es gibt unterschiedliche invasive Arten. Aber wir können sie uns zunutze machen, wenn wir lernen, wie sie funktionieren. Man kann Textil aus ihnen herstellen. So können wir nutzen was entsteht, als eine Form der Anpassungsstrategie. Solche Prozesse müssen passieren, weil Wasser und Meer einfach fundamental wichtig für uns sind. Gleichzeitig müssen wir aufhören, synthetische Kleidung zu kaufen – oder positiv formuliert: Wir müssen anfangen, Second Hand und Kleidung aus Naturfasern zu kaufen.
Damit ist dann auch Kreislaufwirtschaft möglich …
Zumindest ist das ein Teil davon, ja. Wir brauchen zwei Bewegungen: Sowohl Bottom-Up als auch Top-Down. Dort brauchen wir Strenge, Monitoring, einen Plan, eine Finanzierung der Veränderung. Wir brauchen einen kompletten Umbau der Infrastruktur, Erneuerbare Energien, aber auch Humanpower, also eine Investition in Bildung und Gesundheit. Denn wir können keinen Wandel herbeiführen, wenn wir die Menschen in einer Gesellschaft leben lassen, die sie eher krank als gesund macht. Alle Akteur:innen brauchen eine Stimme, alle Lebewesen. Ob im Wasser oder auf dem Land, oder in der Luft. Weil wir nicht alle in Entscheidungen einbeziehen, nutzen wir nicht das volle Potential, das es gibt und erlauben uns auch keine Perspektivwechsel.
Das klingt nach einer sehr großen Aufgabe.
Und nach etwas, wofür es alle braucht. Denn nobody is perfect, Perfektionismus gibt es nicht. Es ist eine Illusion, die uns im Endeffekt die Schönheit des Lebens nimmt. Stattdessen braucht es Kooperationen. Wir müssen gemeinsam Lösungen finden, einen Dialog führen und Änderungen angehen. Fehler akzeptieren und eigenverantwortlich mit ihnen umzugehen. Denn Fehlermachen ist menschlich. Wir dürfen uns erlauben Menschlichkeit, Würde und tiefe Verbindungen in unser Leben wieder zu integrieren.
Wo siehst du denn bereits positive Entwicklungen?
Es gibt zum Beispiel sehr viele innovative Ideen. Es gibt spannende Konzepte für neue Wirtschaftssysteme, in Richtung Gemeinwohlökonomie und Postwachstum. Immer mehr Start-Ups überlegen: Wie können wir wirklich ethisch und nachhaltig handeln? Das ist total gut und spannend. Die Aufgabe besteht jetzt also darin, dass wir noch viel mehr so denken und handeln. Unser Denken darf die Richtung wechseln und wir müssen einfach mal was wagen. Wir sollten also nicht nur unsere Flüsse renaturieren, sondern auch unser Denken. Umweltschutz, Klimaschutz, Feminismus, Agrarwende, Mobilitätswende aber vor allem eine Bewusstseinswende, indem wir uns erlauben mehr zu Fühlen. Vielfalt leben, in dem wir Kinder miteinbeziehen, Jugendliche, Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen, alle Geschlechter, alle Ethnien. Ideenreichtum nicht als Besitz ansehen, sondern anfangen zu teilen. Das Patent quasi ablösen durch Open Source, offene Quelle und da sehen wir wieder, dass wir uns ein Beispiel am Wasser nehmen können.
Also eine wirkliche Diversität schaffen?
Diversität ist unsere größte Chance. Wenn wir uns intakte Ökosysteme anschauen, einen sehr reichen Boden, dann lebt er davon, dass es in ihm viele Mikroorganismen gibt. Diese Biodiversität ist ein Indikator für einen gesunden Boden. Bei unserem Magen und Darm ist es übrigens genauso. Ein System ist dann gut, wenn wir einen hohen Anteil an unterschiedlichen Mikroben oder eben Akteur:innen haben. Es geht darum, Einheit in der Unterschiedlichkeit zu finden. Eine Zugehörigkeit schaffen, indem wir einander zuhören, hinhören, was es braucht. Alles andere wäre Symptombekämpfung. Das Problem an der Wurzel zu packen heißt Systemwandel.
Wie könnte das dann praktisch mit Blick aufs Wasser aussehen?
Wenn wir uns eine nachhaltige Wasserkultur vorstellen, dann wäre das ein großer Wasserkreislauf mit ganz vielen kleinen, in sich funktionierenden Kreisläufen. In den Städten heißt das, dass wir Regenwasser nutzbar machen, also das Lebensspendende Nass, dass diese Ressource, die einfach so vom Himmel fällt, dort aufzufangen, wo es niederfällt und nachhaltig zu nutzen. Wir müssen bei der Quelle anfangen und Flussläufe und Flüsse renaturieren. Wasser als Menschenrecht nicht nur in der UN-Charta festhalten, sondern in allen Grundgesetzen. Dass die Natur als Flüsse, Seen, Bäume ein Mitspracherecht hat. Denn ohne sie geht es nicht.