#04: Hochwertige Bildung – Mascha Herberhold
Weshalb interessierst du dich für Bildung? Was ist dein Bezug zur Schule?
Mein Bezug zur Schule ist ganz einfach der, dass ich zur Schule gegangen bin. Allein durchs Schüler*in sein habe ich – so wie alle anderen – das System Schule kennengelernt, mit all seinen Problemen. Außerdem war ich zwei Jahre lang Schüler*innensprecher*in. Eine Veranstaltung, aus der ich sehr viel mitgenommen habe, war ein Seminar der Friedrich-Ebert-Stiftung. Wie wahrscheinlich sehr viele wusste ich vorher nicht, wie viele Rechte Schüler*innen überhaupt haben. Dabei haben wir das Recht, bei den meisten Fach- und Bildungskonferenzen dabei zu sein. Das ist natürlich von Land zu Land unterschiedlich und man hat auch nicht immer ein Rederecht. Aber man kann aktiv dabei sein, während Entscheidungen getroffen werden und zumindest am Prozess teilhaben.
Welche weniger bekannten Rechte haben Schüler*innen außerdem?
Ihr grundlegendes Recht ist das Recht auf Bildung, aber eben auch auf ein Mitspracherecht desselben. So können Schüler*innen Lehrer*innen dazu auffordern, den Lehrplan fürs Jahr transparent zu machen, um dann Vorschläge einzubringen. In der Praxis habe ich das nicht häufig erlebt. Auch wenn ich hier natürlich anmerken möchte, dass die Lehrer*innen einfach auch durch den Lehrkräftemangel häufig an ihrer Kapazitätsgrenze arbeiten. Diese Realität muss man hier mitdenken. Generell muss man sich immer bewusst sein, dass die Schule natürlich auch ein Ort ist, an dem es eine Machthierarchie und Sanktionsmittel gibt. Das macht es einem schwer, sich einzubringen – wenn man überhaupt von diesen Möglichkeiten weiß.
Wie hast du dann die bewusste Entscheidung getroffen, dich damit zu beschäftigen? Das machen ja die meisten einfach nicht.
Ich hatte vielleicht schon immer ein Bedürfnis, mitzubestimmen. Im Bereich Schule habe ich viele Dinge nicht verstanden. Warum läuft etwas auf die eine Art ab und nicht auf die andere? Mir ist schon immer wichtig, dass Menschen ihre Entscheidungen auch erklären und begründen können. Denn wir haben ein Recht auf eine Begründung, das mir an meiner Schule häufig auch verwehrt wurde.
Was hat sich durch deine Arbeit geändert?
Das ist schwierig zu sagen, weil viele Maßnahmen dann doch komplexer waren und über den konkreten Bereich Schule hinausgegangen sind. Obwohl die meisten Schüler*innen für eine Mülltrennung waren, hat der Prozess nicht nur an der Schule gestockt, sondern es spielten Fragen eine Rolle wie: Wer holt den Müll ab, welche Müllstellen gibt es, wie sollen und dürfen wir überhaupt trennen und so weiter. Da haben sich Problemfelder verknüpft. Gleichzeitig sinken in solchen Situationen die Einflussmöglichkeiten wieder.
Was waren dann deine größten Erfolge?
Meine größten Erfolge waren, dass die Schüler*innen wussten, dass sie zu mir kommen können. Ich weiß noch, wie viele überraschte Gesichter ich gesehen habe, als ich mich im Elternbeirat habe blicken lassen. Diese Teilhabe einzufordern und wahrzunehmen ist ein wichtiger Grundstein, damit sich auch in anderen Bereichen – wie der Unterstützung von Geflüchteten im Bildungsbereich oder der Klimaschutzbildung – etwas ändert. Damit hier die besten Entscheidungen getroffen werden können, müssen viel mehr Menschen an Prozessen partizipieren und mitdiskutieren können. Partizipation sollte nichts sein, das man zugestanden bekommt, wenn man höflich darum bittet. Partizipation ist ein Recht. Es ist seit 1989 in der Kinderrechtskonvention verankert. Die Menschen denken, ich engagiere mich und deshalb bekomme ich diese Rechte. Das stimmt aber nicht, es ist bereits vorher ein Recht, das eben jeder Person zusteht. Dieser Gedanke, diese Richtung hat mich immer gestört.
Wie kann sich das ändern?
Das ist unglaublich schwierig, denn es ist sehr schwer, Leute zu motivieren, mitzumachen. Weil die Rechte weniger bekannt sind und weil Erwachsene einem sagen, dass man nicht mitmachen könne. Somit denken viele Menschen – nicht nur im Schulbereich, sondern überall – „ich kann doch gar nichts ändern“. Hier müssen wir daran arbeiten, dass sich das Bewusstsein ändert, denn Bildung und die Teilhabe an ihr ist so enorm wichtig für alle Lebensbereiche.
Wie meinst du das?
Bessere Bildung schützt vor Armut, sie ist wichtig für die Demokratie und unser Zusammenleben. All das ist schwierig zu erlernen in einem System, in dem es so viel Ungleichgewicht und keine Gewaltenteilung – wie eben in unserem Schulsystem – gibt. Deshalb müssen wir die partizipativen Möglichkeiten der Schüler:innen stärken. Damit zeigt man ihnen, dass man ihre Beteiligung wertschätzt und stärkt langfristig ihren Glauben ins demokratische System und die Möglichkeiten, die wir in ihm haben. Frühe Beteiligung belebt und demokratisiert eine Gesellschaft. Dafür braucht es mehr Aufmerksamkeit und darauf muss hingearbeitet werden.
Was müssen Schulen und Staat dafür tun, Partizipation zu fördern?
Es klingt paradox, aber die Rechte festzuschreiben, kann helfen, dass sie präsenter sind. Und um Aufmerksamkeit auf diese Fragen zu lenken, kann es nicht sein, dass sich immer nur die Schüler:innen selbst dafür einsetzen. Das muss aktiv von den Schulen und der Politik kommen, zum Beispiel müssen Schüler:innen in Runden mit eingeladen werden. Die Politik muss sie nach Informationen und Expertise fragen, sie als Ansprechpartner:innen ernst nehmen. Als ich damals als Klassensprecherin gewählt wurde, habe ich allen einen Brief geschrieben, in dem ich mich vorgestellt habe. Damit alle wissen, dass ich als Vertretung existiere. Das muss es in unterschiedliche Richtungen und auf unterschiedlichen Ebenen geben, sodass man gehört wird.
Was ist noch wichtig?
Wir müssen mehr darauf schauen, wie ungleich Bildung, Engagement und langfristig die eigene Karriere noch immer an das Elternhaus gekoppelt sind. Wer keine Informationen vom Elternhaus mitbringt, kann sich schwieriger engagieren, weil er weder von dort noch von anderen Seiten die nötigen Informationen erhält. Auch engagierte Lehrer:innen können dieses Ungleichgewicht kaum ausbalancieren.
Wie findest du den Unterricht als solchen?
Ich finde die Idee spannend, dass wir ja in die Schule gehen, um eine Allgemeinbildung zu erhalten. Hier sollte es möglich sein, noch stärker nach den eigenen Stärken und Interessen zu wählen, denn es ist enorm schwierig, Allgemeinbildung überhaupt zu definieren. Eine grundsätzliche Bildung überall ist wichtig, aber eigentlich sollte dazugehören, dass man deutlich mehr eingrenzen dürfen sollte, in welchen Bereichen man gebildet werden möchte. Es ist eine Illusion, in allen Bereichen eine grundlegende, gleichberechtigte Allgemeinbildung zu erhalten.
Welche Entwicklungen beobachtest du im Bildungssystem? Welche Chancen, Herausforderungen, Veränderungen in den letzten Jahren?
Die fehlende Digitalisierung bleibt ein großes Problem. Auch Nachhaltigkeit ist ein Aspekt, der mehr mitgedacht werden muss. Das sind wichtige Grundpfeiler. Klug gemachte Digitalisierung kann auch wieder zu mehr Partizipation führen. Für eine Facharbeit wollte ich damals eine digitale Plattform schaffen, auf der – beispielsweise – Schüler:innen an Lehrer:innen Kritik üben können. Das wurde mir von der Schule verwehrt. Aber es gibt noch viel grundsätzlichere Probleme. Warum müssen wir seitenlange Schularbeiten noch immer mit der Hand schreiben? Keine konkreten Lösungen, aber dringenden Handlungsbedarf sehe ich aber zum Beispiel beim angesprochenen Thema der Chancengleichheit. Zwischen meinem Abitur und meinem Elternhaus sollte keine Korrelation mehr bestehen. Wobei man auch hier sagen kann: Gäbe es eine digitale Bibliothek, die jede:r nutzen kann, könnte das helfen. Auch hier sieht man wieder: All diese Problemfelder sind verknüpft.