#15: Leben an Land – Luise Ebenbeck
Wer bist du und welche Pronomen benutzt du?
Ich bin Luise und benutze sie/ihr.
Was machst du so in deinem Leben?
Meine Erwerbsarbeit, die natürlich einen großen Teil der Zeit einnimmt, verrichte ich bei der Berliner Energieagentur und berate zur energetischen Quartiersentwicklung. Das bedeutet, ich berate dazu, wie Stadtquartiere klimaneutral gestaltet und an das sich verändernde Klima angepasst werden können. Diese Arbeit hat gute Seiten, aber ist wegen der engen Zusammenarbeit mit Verwaltungsstrukturen häufig sehr mühsam und anstrengend. Bei den Sachen, die ich in meiner Freizeit mache, habe ich ein größeres Gefühl der Selbstwirksamkeit. Aktuell mache ich zum Beispiel eine Permakulturweiterbildung. Außerdem bin ich bei einer solidarischen Landwirtschaftskooperative (Solawi) aktiv – der Roten Beete und Mitglied in vielen Naturschutzorganisationen. Im Alltag schaffe ich es zwar nicht direkt bei ihren Projekten mitzumachen, aber ich fahre mindestens einmal im Jahr mit dem Bergwald-Projekt zu einer Projektwoche. Die werden in ganz Deutschland angeboten und da geht es um die Unterstützung der Regeneration und Wiederherstellung von Ökosystemen. Zum Beispiel um die Wiedervernässung von Mooren, oder Waldumbau. Das heißt, dass in Wäldern, die bisher als Wirtschaftswälder gehandhabt wurden, wieder mehr einheimische und Standort-angepasste Laubbaumarten gepflanzt werden. Das gibt mir am meisten das Gefühl, was zu tun, was sichtbare Ergebnisse schafft.
Wenn wir etwas in der Zeit zurückschauen, wie hast du dich politisiert? Wie kam es dazu, dass du heute die Dinge machst, die du machst?
Ich kann jetzt nicht direkt ein Erlebnis benennen. Ich habe seit meiner Kindheit mitbekommen, dass unsere Lebensweise der Natur schadet. Zuerst habe ich versucht, dem mit meinem individuellen Lebensstil entgegenzuwirken – also vegan zu leben, Müll zu vermeiden und möglichst ökologisch produzierte Dinge einzukaufen. Im Laufe meines Lebens haben sich die ganzen Probleme, die Klimakrise, das Artensterben und Umweltverschmutzung, jedoch exponentiell verschlimmert. Dadurch ist klar geworden: Das löst sich nicht über die individuellen Konsumentscheidungen von Menschen, sondern das muss politisch verarbeitet werden. Deshalb habe ich als Nächstes bei Demos mitgemacht und Petitionen unterzeichnet. Auch das hat sich als nicht so wirksam herausgestellt. Als dann die Besetzungen vom Hambacher Wald in den Medien war, war das für mich das Zeichen: Wenn es ein Mittel gibt, mit dem man wirklich was erreichen kann, dann ist es Ziviler Ungehorsam. Zu der Zeit kam dann Extinction Rebellion in Großbritannien auf. Ende Gelände hatte in Deutschland sehr viel Zulauf und auch Fridays For Future hat im Prinzip als eine Bewegung Zivilen Ungehorsams angefangen. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung war es ein totaler Skandal, dass sie freitags nicht in die Schule gehen. Diese Regelverstöße haben erst dazu geführt, dass die Klimakrise wirklich wahrgenommen und breit diskutiert wurde. Das war der Zeitpunkt, wo ich mich „radikalisiert“, beziehungsweise erkannt habe, dass es noch mehr Methoden gibt, politisch Einfluss zu nehmen, als die, die der Gesetzgeber vorgibt. Zurzeit bin ich aber nicht so stark in aktivistischen Kontexten aktiv, weil in den letzten Jahren, während der Pandemie viel Momentum verlorengegangen ist. Es braucht eine neue Strategie. Es ist sehr offensichtlich, dass uns als Globaler Norden unsere Lebensweise auch selber auf die Füße fällt. Dieses Frühjahr gab es wieder krasse Hochwasser. Das politische Handeln ist aber immer noch nicht der Situation angemessen. Deswegen bin ich im Moment mehr in Graswurzelprojekten unterwegs, die versuchen, Alternativen aufzubauen.
Man liest viel davon, dass das Klima Momentum verloren gegangen ist. Hast du da noch mehr Gedanken, weil eigentlich wird das Thema doch von Tag zu Tag wichtiger.
Zum einen spielen die Medien da eine große Rolle. Ich rege mich so gut wie jeden Tag darüber auf, dass über die Katastrophen berichtet wird, die durch Extremwetter entstehen, dabei aber extrem selten Kontext hergestellt wird. Zum anderen glaube ich aber auch, dass viele Menschen mit großen Alltagsherausforderungen zu kämpfen haben, die wiederum teilweise mit der Klimakrise zusammenhängen. Wenn gerade mein Haus überschwemmt wurde, habe ich so viele Sachen, um die ich mich akut kümmern muss, dass mir auf absehbare Zeit für politische Beteiligung die Energie fehlt. Außerdem kommen wirtschaftliche Faktoren hinzu und Verdrängung ebenfalls. Obwohl die Klimakrise immer offensichtlicher wird, schieben Menschen es aus psychologischen Gründen weg, weil es schwer auszuhalten ist. Ich habe sicher nicht die Strategie, wie die Klimagerechtigkeitsbewegung wieder auf die Beine kommt. Ich habe aber das Gefühl, dass praktische Hilfestellungen, die im Alltag sichtbar was bringen, sehr wertvoll sind. Stadtviertel zu begrünen, damit die Menschen im Sommer nicht so stark unter der Hitze leiden. Solidarische Landwirtschaft, wo vor Ort gemeinsam gute Lebensmittel produziert werden und Menschen mit unterschiedlich viel Geld die Teilnahme ermöglicht wird.
Läuft man nicht Gefahr, dass es durch so ein Arbeiten im „Kleinen“ wieder individualisiert wird?
Um spürbar eine Verbesserung zu bewirken, braucht es mehr als Einzelpersonen. Für eine Solawi zum Beispiel braucht es schon eine größere Gruppe von Menschen, die bereit sind, sich bei der Organisation zu beteiligen und auf dem Acker mitzuhelfen. Das ist dann aus meiner Sicht auch mehr als einfach nur Lebensmittelproduktion, sondern das ist ein Raum, in dem Gespräche stattfinden. Das strahlt aus. In Leipzig sind in den letzten Jahren richtig viele Solawis entstanden. Das kann Gemeinschaften schaffen und das ist nicht dasselbe, wie einen fair gehandelten Kaffee zu kaufen. Trotz meiner aktivistischen Tätigkeiten habe ich nicht aufgehört, meinen Konsum zu hinterfragen. Ich glaube, es ist nötig, in allen Lebensbereichen die zukunftsfähigen Lösungen und Strategien zu finden und selber aktiv umzusetzen.
Ja. Nochmal zu dem Thema Solawi. Hast du Ideen dazu, wie der wachsende Bedarf an Nahrung, der mit einer steigenden Bevölkerung nicht unbedingt in Deutschland, aber weltweit einhergeht, im Einklang mit der Natur angegangen werden kann. Funktionieren Solawi-Konzepte auch im größeren Stil?
Damit habe ich mich bei der Permakulturweiterbildung viel beschäftigt. Es ist gar nicht so, dass die konventionelle Landwirtschaft unbedingt die höchsten Erträge bringt. Sie ist am lukrativsten, weil man mit diesen gigantischen Maschinen riesige Felder mit einer einzigen Kultur abarbeiten kann. Das geht sehr schnell, sehr effizient und benötigt sehr wenig Personal. Es produziert jedoch nicht notwendigerweise die meisten Kalorien pro Quadratmeter. Vor allem macht es aber ganz viel kaputt. Es zerstört das Bodenleben, es führt dazu, dass Gewässer überdüngt werden und schadet der Artenvielfalt. Das ist in keiner Weise zukunftsfähig und es gibt ganz viele verschiedene Ansätze für Landwirtschaft, die vielfältig und angepasst an lokale Bedingungen deutlich mehr Lebensmittel produzieren können. Der „Haken“ dabei ist, dass es arbeitsintensiv ist und das heißt, dass es auch mehr kostet. Wir geben heutzutage im Vergleich mit der Geschichte sehr wenig Geld für Lebensmittel aus. Das wird sich in Zukunft wieder ändern. Dieser Übergang muss gerecht gestaltet werden, damit ärmere Menschen keine Schwierigkeiten haben, an Lebensmittel zu kommen. Deswegen finde ich den Ansatz der solidarischen Landwirtschaft auch so wichtig. Eine zukunftsfähige Landwirtschaft kann nur ökologisch und regenerativ sein.
Kannst du nur den Begriff Permakultur noch einmal kurz erklären?
Es ist ein Gestaltungsansatz, der versucht, die Prinzipien von natürlichen Ökosystemen anzuwenden, um Orte oder Strukturen zu gestalten. Es wird sehr oft mit Landwirtschaft in Verbindung gebracht und das ist auch der Ursprung. Es hat sich von dort aber sehr schnell ausgedehnt auf alle Lebensbereiche – zum Beispiel Stadtplanung oder Zusammenarbeit in Gruppen. Es geht immer darum, etwas zu schaffen, was langfristig tragfähig ist und sich selber erhalten kann, so wie das Ökosysteme können.
Du hast ein Schild mitgebracht, auf dem steht „Respect existence, or expect resistance“. Kannst du den Slogan nochmal erklären?
Das ist eins der ersten Schilder, die ich für den Klimastreik gemalt habe. Der Slogan bringt für mich auf den Punkt, dass ich es nicht hinnehmen will, dass unsere natürlichen Lebensgrundlagen und Pflanzen und Tiere weiter zerstört werden.
Was sind deine Gedanken zu dem Zusammenspiel von Biodiversitätsschutz und Klimaschutz.
Ohne Ökosysteme können wir definitiv nicht überleben, selbst wenn wir es auf technischem Weg schaffen würden, die CO2-Konzentration wieder auf das vorindustrielle Level zu senken. Die Zerstörung der Ökosysteme auf der einen Seite sorgt für den Ausstoß ganz vieler Treibhausgase. Entwässerte Moore fangen an zu verrotten und geben Kohlenstoff frei. Brennende Wälder genauso. Die Wiederherstellung von Ökosystemen kann auf der anderen Seite ganz viel dafür leisten, wieder Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu bind…